Mittwoch, 13. Juni 2012

Literatur ist kein Kaffeekränzchen - Wolfgang Tischer


Hallo Wolfgang Tischer, danke dass Du Dir die Zeit nimmst, hier ein paar Fragen zu beantworten.   

Wir kennen uns ja schon eine Weile und ab und zu bist Du so freundlich Herrn Grays Beiträge auf Deiner Webseite, dem literaturcafe.de, zu posten. 

Das Literatur-Café ist ja auch gar nicht irgendeine Webseite, sondern ein fester Posten in der deutschen Literaturlandschaft, vor allem aber ist sie mehrfach preisgekrönt worden. Was mich gleich zu meiner ersten Frage bringt.




 Wolfgang Tischer, Betreiber des Literaturcafès im Internet. Einer, der stets kluges zum Buchgeschäft zu sagen hat.


Wie wird man eigentlich Grimme - Preisträger?

 Ich schließe mal aus deiner Frage, dass du der Meinung bist, das literaturcafe.de hätte schon mal den Grimme-Preis gewonnen. Dem ist leider nicht so, daher kann ich deine Frage aus eigener Erfahrung nicht beantworten.

Du meinst vermutlich den Alternativen Medienpreis, den das literaturcafe.de 2004 gewonnen hat. Der Alternative Medienpreis wird von der Journalistenakademie München vergeben und ist die unabhängige Alternative zum Grimme-Preis. 

Ausgezeichnet werden hier unabhängige und in der Regel nicht-kommerzielle Web-Projekte. Für diesen Preis kann man sich nicht bewerben, sondern man wird nominiert, was den Preis natürlich noch wertvoller macht. 

In aller Bescheidenheit kann ich also nur sagen, dass man für den Gewinn eine qualitativ hochwertige Website betreiben muss, die der Zielgruppe einiges bringt. Marketingmenschen würden in ihrem Deutsch wohl von „hohem Mehrwert“ sprechen.

Und auch wenn die Verlegerzeitschrift „Publishing Perspectives“ das literaturcafe.de Anfang 2011 zu „Germany's Best Booksites“ kürt, dann macht einen das natürlich stolz.


Mit der wachsenden Bedeutung Deiner Webseite geht ja auch eine immer höhere Sichtbarkeit Deiner Person für die Öffentlichkeit einher. Du schreibst Artikel für die „Zeit“ und Branchenmedien wie buchreport.de. 
 Fühlst Du Dich in Deiner Prominentenrolle wohl, oder stellt das nur eines der notwendigen Übel dar, das man mit dem Erfolg des Literatur-Cafés eben in Kauf zu nehmen hat?

Um es direkt zu sagen: Ich stehe gerne auf der Bühne und bin mit Sicherheit eine Rampensau. Ich habe früher Kabarett gemacht und weiß, dass man die Leute mit der richtigen Mischung aus Information und Unterhaltung begeistern sollte.

Aber deine Wahrnehmung resultiert aus einer tatsächlich erfolgten Veränderung. Natürlich war ich schon immer der Gründer und Herausgeber des literaturcafe.de. 

Ich habe meine eigene Person aber nicht ganz so in den Vordergrund gestellt, denn es kam mir in erster Linie auf die Themen an, die das Café präsentiert – und auch die Menschen, die dort Beiträge, Kurzgeschichten und Gedichte veröffentlicht haben. Da muss ich mich nicht immer selbst in Szene setzen.

Allerdings habe ich in den letzen Monaten lernen müssen, dass das dennoch notwendig ist und dass speziell das Internet diese Form des „Egoismus“ fördert. 

Aber ich hasse bis heute diese Selbstbeweihräucherung der Leute, dieses „Passt mal auf, ich erzähle euch was ganz Tolles und Wichtiges!“. 

Das Internet ist wie ein Unternehmen: oft werden nur die beachtet, die am lautesten schreien. Wenn man so will, geht auch im Selbstmarketing Form vor Inhalt. Und immer wieder muss man erleben, wie das auch noch funktioniert. 

Hinzu kommt, dass selbst Google diese „Egomaschine“ fördert, indem im Suchergebnis z.B. Blogbeiträge mit dem Google+-Profil der Autorin oder des Autors verknüpft sind und ein Bildchen daneben angezeigt wird. 

Die Welt und das Web sind immer mehr personenfixiert. Also habe auch ich erkannt, dass man die eigene Person mehr in den Vordergrund stellen muss. 

Ich habe damit wie gesagt kein Problem, auch wenn ich es besser finden würde, wenn die Personenfixierung etwas weniger wäre. 

Jedoch wäre es eine Selbstverleugnung, wenn ich behaupten würde, dass dieses System dem Ego nicht gut tut – solange das Feedback überwiegend positiv ist.


Du hast Dich ja selbst mit einem eigenen Fachbuchtitel als Indie-Autor versucht. Läuft der noch, oder ist er in der immer höher schwappenden Flut der Neuerscheinungen inzwischen „versunken“?

Ich bin erstaunt darüber, wie gut das E-Book noch „läuft“. 

Es ist ja ein Fachbuch darüber, wie man speziell bei Amazon seine E-Books verkauft. 

Also das was man als klassischen Nischentitel bezeichnen würde. Natürlich war er vor einem Jahr ganz oben in den Amazon-Charts bis auf Platz 3, was u.a. auch an einem Artikel auf SPIEGEL Online lag. 

Aber selbst heute ist das Werk beständig so um den Platz 500 herum auf den Kindle-Charts zu finden, was ich erstaunlich finde. 

Natürlich weise ich im literaturcafe.de auf das Buch hin, aber unsere Auswertungen zeigen, dass es nur so an die 7% der Käufer sind, die tatsächlich über den Affiliate-Link vom literaturcafe.de auf den Titel kommen. 

Man sollte also die eigenen Marketing-Instrumente nicht überbewerten.


Wie siehst Du das Phänomen der Indie-Autoren, bzw. des Selfpublishing? Bringt das langfristig eher Vorteile für den Buchmarkt? Es existieren ja Bedenken, dass der Erfolg von Ebooks über kurz oder lang zur Bedrohung nicht nur für die großen Ketten wie Thalia und Hugendubel, sondern auch für den Tante Emma Buchladen um die Ecke werden könnte.

Wenn du mit Buchmarkt tatsächlich Verlage und Buchhandlungen meinst, dann bringen E-Books denen sicherlich keine Vorteile. 

Verlage und Buchhandlungen hatten sich ihre Welt geschaffen. 

Die Verlage sorgen mit Marketing und PR für Sichtbarkeit und die Buchhandlungen halten die Bücher bereit, weil die Verlagsvertreter ihnen vorab berichtet haben, was man alles für das Buch tut bzw. wie gut der Autor sei. 

Für Selbstverleger gab es keinerlei Möglichkeit, in dieses System zu kommen. 

Bis heute haben es Print-on-Demand-Anbieter schwer, dass die Titel ihrer Autoren in den Buchhandlungen stehen, also sichtbar sind. 

Ein Eintrag im VLB (= Verzeichnis lieferbarer Bücher D.G.)  den viele dubiose Zuschussverlage als Sichtbarkeit verkaufen, bewirkt eigentlich nichts.

Man muss daran erinnern, dass sich vor gut 10 Jahren selbst Stephen King mit „The Plant“ als Selbstverleger versucht hat und damals grandios gescheitert ist, weil zu wenig Leute für einen Teil seiner Fortsetzungsgeschichte 1 Dollar zahlen wollten.

Es muss eben einiges zusammenkommen und das ist erst heute der Fall. Heute haben wir nicht mehr brikettgroße E-Reader und heute kann ich bequem Bücher für 99-Cent direkt auf dem Gerät kaufen. 

Und wir haben plötzlich die Sichtbarkeit für selbstverlegte Bücher, die in den Kindle-Charts auf Augenhöhe mit den Titeln der Verlage stehen. 

Die Preispolitik der Verlage ist dabei ein nicht unerheblicher Grund für den Erfolg der Indies.


Wo liegen Deiner Beobachtung zufolge, die typischen Fehler, die Indie Autoren bei ihren Veröffentlichungen begehen?

Sie schreiben im falschen Genre :-)

Nein, im Ernst: Man muss wirklich sehen, dass der Großteil der erfolgreichen Indie-Titel Genre-Literatur ist. Krimi, Thriller, Horror, Erotik, Singelfrauen, Romance – das sind die Themen die gehen. 

Literarische Titel außerhalb dieser Genres haben keine Chance. Das finde ich persönlich sehr bedauerlich. Wobei ich betonen muss, dass ich mit „literarisch“ kein Qualitätsmerkmal meine, sondern eben nur Titel abseits der Genre-Literatur. 

Ein Buch wie „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ halte ich im Indy-Bereich derzeit auf den Bestsellerlisten leider für undenkbar.

Der typischen Fehler, den ich oft mitbekomme ist der, dass viele Autorinnen und Autoren von den tollen neuen Möglichkeiten hören und nun ihre Manuskripte aus der Schublade holen und bei Amazon hochladen, ohne dass sie sich näher mit der Materie beschäftigt haben. 

Da sind dann die Formatierungen fehlerhaft, das Inhaltsverzeichnis ist nicht Kindle-kompatible, das Cover ist alles andere als optimal oder der Preis ist falsch angesetzt. Und es fehlt jegliche Marketing-Strategie. 

Viele legen mit dem Upload vielleicht noch einen Twitter-Account und eine Facebook-Seite an, weil sie gehört haben, dass das dazu gehört. Und sie bitten ihre Freundinnen und Freunde, doch mal bei Amazon eine 5-Sterne-Besprechung zu schreiben. 

Das alles ist nicht wirklich eine gute Strategie für eine E-Book-Veröffentlichung, aber viele Autorinnen und Autoren haben offenbar den Eindruck, ihnen geht etwas durch die Lappen, wenn sie ihre Texte nicht ganz furchtbar schnell als E-Book bei Amazon anbieten.


Hast Du einen heißen Marketingtipp für Indie-Autoren?

Ich habe keinen heißen, aber einen soliden Tipp und zwar all die oben erwähnten Fehler nicht zu machen. 

Man sollte nichts überstürzen und sich eine Strategie überlegen. 

Wie baue ich z.B. schon vor meiner Veröffentlichung ein Netzwerk auf? 

Ich sollte das Buch technisch einwandfrei formatieren und auch die Covergestaltung ist extrem wichtig! 

Und ich sollte mir ein Ziel setzen und genau überlegen, für wen ich schreibe und wie und wo ich diese Leserinnen und Leser erreiche.

Ich bekomme z.B. immer wieder Anfragen, ob ich nicht Lebenshilferatgeber oder Sachbücher zum Thema Pferdepflege besprechen möchte. Da würde ich sagen, hat sich der Autor keine Gedanken gemacht, wo seine Zielgruppe ist.

Und ich kann ebenfalls nicht oft genug sagen: Verlassen Sie sich nicht auf die Sozial-Media-Kanäle! 

Niemand weiß, wie die sich entwickeln werden. Facebook kann – wie es schon vorgekommen ist – die eigene Fanseite einfach ohne Vorwarnung abschalten. 

Man hat mit denen ja kein Vertrag, weil man dort nicht Kunde, sonder Produkt ist. 

Im Mittelpunkt aller Aktivitäten sollte also immer die eigene Website stehen. 

Natürlich sollte ich Facebook, Twitter, YouTube und Wasauchimmer nutzen, aber ich sollte mir immer bewusst machen, dass diese Daten und Werkzeuge nicht mir gehören. Eine eigene Website unter eigener Domain ist die Basis.


Wo siehst Du den deutschen Buchmarkt in fünf Jahren? Werden Indie-Autoren darin wirklich eine beständige Rolle spielen, oder hat das Phänomen Indie, wie so viele andere netzbasierte Trends, bis dahin seine Halbwertzeit längst aufgebraucht?

Natürlich wird der Hype abflauen, wenn viele Autoren merken, dass sie leider bei weitem nicht so viel verkaufen oder verdienen, wie es viele versprechen oder wie es die von der Presse herausgegriffenen Erfolgsfälle suggerieren. 

Letztendlich zählt nun mal die Qualität der Texte. Wenn der Inhalt nicht stimmt, dann bringt auch Werbung und Marketing nichts.

Dennoch glaube ich, dass Indie-Autoren sichtbar bleiben werden und die erfolgreichen unter ihnen weiter eine Rolle spielen werden. Zumindest in den Bestsellerlisten, die sie nicht ausblenden. 

Diese Autoren kennen ihre Leser, sie wissen, wie man für Publikum schreibt und sie haben den Weg ohne Verlag und ihre Freiheit schätzen gelernt. 

Natürlich wird der ein oder andere zu einem Verlag wechseln, andere werden den umgekehrten Weg gehen, aber die unabhängigen, eigenständigen und selbstbewussten Autorinnen und Autoren werden bleiben.


Amazon bietet mit seinem Create Space Programm ja mittlerweile auch für Indie-Autoren die Möglichkeit ihre Titel in Taschenbuchform an den Leser zu bringen. Deiner Auffassung nach - eine Bedrohung mehr für den stationären Buchhandel?

Zu Create Space kann ich noch nicht zu viel sagen, das kommt ja erst so langsam und noch gibt es keine eingedeutschte Version. Ich wage in der Richtung keine Prognosen, weil auch schon so vieles nicht funktioniert hat. 

Lulu.com ist so ein Beispiel, das auch supertoll klang, aber nie so recht die breite Masse der Selbstverleger erreicht hat. 

Dennoch werde auch ich Create Space testen, ohne Frage.

Wenn wir von Kindle und Create Space oder auch iBookstore und Co sprechen, dann reden wir ohnehin von Büchern, die am stationären Buchhandel vorbeigehen. 

Dass der Handel vor Ort zu den Verlierern gehört, ist eine Tatsache. Das ist bedauerlich, aber so ist der Lauf der Dinge und all die Versuche, die Buchhandlungen irgendwie am E-Book-Verkauf zu beteiligen, sind sinnlose Schwimmversuche in einem tosenden Meer. 

Auf der andern Seite kann ich mir aber auch vorstellen, dass „Papierbuchhandlungen“ eine gewisse Exklusivität bekommen könnten, wenn man kompetent ist und seine Kunden findet.



Doc House Tipp: Brain? Use it. Das gilt, Wolfgang Tischer zufolge, vor allem auch in der Indie-Autorenszene



Welche Frage wolltest Du schon immer einmal von einem Journalisten gestellt bekommen; und weshalb gerade diese?

Lieber David, ich habe mich sehr über deine Fragen gefreut und bin schon froh, dass du nicht gefragt hast, ob man denn von so was wie dem literaturcafe.de leben kann.


Lieber Wolfgang, ich danke Dir für das Gespräch. 

1 Kommentar:

  1. Wirklich wahr, was er da sagt. Die Qualität der Texte muss stimmen, das Buch muss professionell gestaltet sein und der Autor sollte sich über lange Zeit und schon vor der Veröffentlichung einen Leserkreis aufbauen, z.B. durch ein lesenswertes Blog (kombiniert mit Facebook).

    AntwortenLöschen