Während der Recherche zu meinem neuesten Thriller „Der Preis“
erhielt ich eine Mail, in der ich aufgefordert wurde, die Veröffentlichung des
Buches noch mal zu überdenken. Anlass war ein Fachgutachten, dass ich über
bestimmte Geschehnisse in „Der Preis“ habe anfertigen lassen.
Hier ein Zitat aus der besagten Nachricht:
Ich bin
sicher, dass die fragliche Sequenz, die
Du in „Der Preis“ beschreibst, auch in der Realität funktionieren würde.
Das bereitet mir ehrlich gesagt Sorgen.
Es ist bestimmt angebracht, dass man sich als Autor vergewissert, ob die Bombe, die man irgendeinen Übeltäter zusammen basteln lässt, auch wirklich hoch gehen würde. Aber dann ist man doch auch verpflichtet die Anleitung zum Bombenbasteln eben nicht so in den Buchtext einzubauen, dass jeder Terrorist, dem dieses Buch zufällig in die Hände fällt, diese Bombe auch nachbauen könnte.
Die Psychotortur, die Du in „Der Preis“ beschreibst, könnte auch in der Realität zu dem Ergebnis führen, das Du ihr in Deinem Buch zuordnest. Weil es aber schon ausreichend Fanatiker auf der Welt gibt, die Bomben bauen, solltest Du nicht noch dazu beitragen, dass auch noch die Anzahl derjenigen steigt, die bald noch genauer wissen, wie man seinen Mitmenschen erfolgreich psychologisch foltert.
Was danach folgte war eine Reihe von Vorschlägen, was ich in der
fraglichen Sequenz besser abzuändern hätte.
Ich habe nur eine - kleinere - der vorgeschlagenen Änderungen
auch umgesetzt.
Ach - der Gutachter, aus dessen Gutachten ich hier zitiere, ist
Psychologe und Mitautor eines Handbuches für moderne Verhörtechniken,
Zielgruppe: Polizei und Militär.
„Der Preis“ ist ein Thriller. Das heißt ein Roman, der vor allem
Spannung erzeugen will und diese in einer möglichst überraschenden Pointe zum Ende
auflöst.
Meist geschieht das dadurch, dass der Autor dem verblüfften
Leser die Identität derjenigen Romanfigur präsentiert, die eine Reihe von
Verbrechen begangen hat. Meistens handelt es sich dabei um Mord.
Es gibt keinen Mord in „Der Preis“ und das einzige Blut, das
darin fließt ist Menstruationsblut.
Ich weiß einen guten Mord in einem Thriller durchaus zu
schätzen. Das hab ich in „Glashaus“, „Wolfswechsel“ und „Little Red Riding Hood“ bewiesen. Aber selbst für
Krimiautoren wird Mord irgendwann mal langweilig.
Es gibt andere – genauso erschreckende - Aufhänger, mit denen sich Spannung in einem
Thriller erzeugen lässt. Man mag es meiner überaus glücklichen Kindheit und erfüllten
Jugend zuschreiben, aber ich habe mich neben Verbrechen und Mord immer schon auch
dafür interessiert, wie man den Willen eines Menschen bricht.
Ich halte dies auch für keine Kleinigkeit.
Die Recherchen zu „Der Preis“ haben bewiesen, wie Recht ich
damit hatte. Denn nur die Fachliteratur, durch die ich mich bei den Recherchen
für „Der Preis“ zu wühlen hatte, umfasst ungefähr neunzig Bände.
Und das sind bloß die einschlägigen Titel, die ich problemlos in
Bibliotheken, beim Buchhandel oder in Antiquariaten auftreiben konnte. Hinzu
kommt eine Unzahl von Artikeln und Texten, die ich im Internet fand.
Folter – Psychofolter zumal – ist ein Thema, das nicht aus der
Mode kommt.
Es ist auch komplexer und schockierender, als man es in
Splatterfilmen oder den einschlägigen TV-Krimis zu sehen bekommt.
Wenn seinerzeit mein Kollege Thomas Harris vorschlug auf seine
Buchcover eine Inhaltswarnung zu drucken, fand ich das nicht nur als Werbegag
berechtigt. Hannibal the Cannibal, ist eine Figur angesichts derer es einem nun
wirklich graut.
Was von einem professionellem Standpunkt aus betrachtet
allerdings nur bedeutet, das Mister Thomas Harris in seinem „Silence of the
Lambs“ so einiges richtig gemacht hatte. Dass es keine Inhaltswarnung auf den Covern
von „Schweigen der Lämmer“ oder „Roter Drache“ gab, hat dem Siegeszug von
Hannibal dem Kannibalen in der Popkultur trotzdem keinen Abbruch getan.
Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, ob ich „Der Preis“
wirklich so veröffentlichen sollte, wie ich ihn geschrieben hatte. Am Argument
des Gutachters war ja etwas dran. Andererseits gehört aber auch eine ganze
Menge an Entschlossenheit und vor allem Logistik dazu, die Foltersequenz aus
„Der Preis“ in die Realität umzusetzen.
Auch wenn niemals Mangel an Fanatikern oder Irren herrscht,
bezweifelte ich, dass die sich ausgerechnet mein Setting aus „Der Preis“ zum
Vorbild nehmen würden, um ihre kranken Fantasien auszuleben.
Einen Warnhinweis auf dem Cover von „Der Preis“ hätte auch zu
nichts geführt – der Titel wird im Internet verkauft, das notorisch
unkontrollierbar in Beziehung auf jede Art von – selbst wohlmeinender - Zensur
ist.
Thomas Harris wirklich genialer Schachzug bei seiner Hannibal
Lecter Serie, bestand darin Dr. Lecter, trotz dessen Vorliebe für eine ganz
besondere Art von Innereien, auf eine perverse Art eben auch menschlich zu
gestalten.
Eine Figur im Krimigenre menschlich zu zeichnen, bedeutet in
gewissem Maß sie immer auch als Opfer darzustellen. Anteilnahme mit den Figuren
ist es, was den Leser bei der Stange hält. Sich in seinem Text um diese
Anteilnahme zu bemühen, stellt eine der wenigen feststehenden Regeln dar, die
im Handwerk des Krimiautors existieren.
Die Täter in „Der Preis“ bleiben
- mit einer entscheidenden Ausnahme – jedoch gesichtslos. Habe ich daher
also die wichtigste Regel des Krimiautorenhandwerks gebrochen? Ich glaube
nicht. Denn um Täter ging es mir in dem Buch nicht.
Es ging mir um Opfer. Darum ihre Gefühle, ihr Verhalten, ihre
Ängste und Überlebensstrategien auszuloten.
Im härteren Thrillergenre spielen die Opfer in letzter Zeit kaum
noch eine Rolle. Man betrachtet sie als notwendiges Übel und sorgt nach ihrem
Auftritt als möglichst schrecklich zugerichtete Leiche recht schnell dafür sie unter
den Handlungstisch zu kehren.
Trotz der Konzentration auf die Opfer würde ich selbst „Der
Preis“ stilistisch und plotmäßig
eindeutig als harten Thriller charakterisieren.
Um mal zusammenzufassen: Herr Gray verfasste einen Thriller, in
dem die Täter gesichtslos bleiben, weder ein Mord vorkommt, noch reichlich Blut
fließt, und der sich dann auch noch vor allem auf die Psychologie des Opfers
konzentriert?
Genau so.
Hier ein Zitat aus einer weiteren Mail, die ich zu „Der Preis“
erhielt:
Kein Blut? Keine
Leichen? Trotzdem nennst Du es „Thriller“? Das Teil kauft keiner, David. Nicht
mal als Ebook für 2,99. Schade um die Arbeit.
Diese Mail kam von einem Kollegen, dessen Rat ich sonst sehr
schätze.
Kann ja sein, das er recht hat.
Aber ich will hier noch auf eine andere feststehende Regel des
Schreibens verweisen:
Wer zu lange in festen Strukturen verharrt, geht früher oder
später unter.
Und das gilt für alle Belletristikgenres.
Das gilt sogar fürs reale Leben.
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