Reden wir über Mord. Und tun wir es mit einem der ganz
besonderen Säulenheiligen der Literatur, von dem der bemerkenswerte Satz
überliefert ist: „Wir haben lange genug aus Not gemordet, tun wir es jetzt mit
Überzeugung und Geschmack“
Weshalb wir hier über Mord reden sollten und dann auch noch im
Sinne des berüchtigten Marquis de Sade, denn von keinem anderen stammt der oben
zitierte Satz?
Weil Mord derzeit in aller Munde ist. Außerdem Geschmack und
Not.
Vermeintlicher Mord nämlich an uns Autoren und unserem
Einkommen, vermeintlicher Mord auch an der Kultur und dem literarischen und
künstlerischem Niveau ganz allgemein.
Gemeint ist die aktuell in den Medien und dem Internet stattfindende
Urheberrechtsdebatte. Die sich in den letzten Tagen und Wochen durch zahlreiche
Artikel, Petitionen und Aktionen zu einer Art von perpetuum mobile verwandelt hat. Die dabei erreichten
Geschwindigkeiten sind erstaunlich und
es darf durchaus befürchtet werden, dass den sich dabei entwickelnden
Fliehkräften mehr an kulturellem Porzellan zum Opfer fallen könnte als gesund
sein kann.
Einen neuen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung mit einer
Plakataktion des „Syndikats“, der Vereinigung der deutschsprachigen
Krimiautoren. Ganz dem Genre verhaftet wurde bei den Plakatmotiven weder an
geschminkten Leichen noch Kunstblut gespart. So splattermäßig gerieten die
Motive - ich wundere mich, dass bisher noch kein Jugendschützer auf den Plan
trat, um deren Verbreitung an Orten zu unterbinden, die von Minderjährigen frequentiert
werden.
Das Syndikat ließ sich also nicht lumpen. Und wie es sich für
eine richtige Krimistory gehört, hat man nicht nur reichlich Kunstblut
vergossen, sondern auch einen fiesen Killer ausgemacht und abgebildet, der
fröhlich grinsend im Angesicht von Leichenhaufen seine Opferausbeute herzeigt.
Bei den Leichen, die von dem plakatierten Killer abgeschlachtet worden waren
handelt es sich um deutsche Krimiautoren.
Und was den Killer - neben seiner Opferausbeute - eindeutig als Übeltäter
erkennbar macht ist die Maske, die er trägt. Es handelt sich dabei nicht um
irgendeinen über den Kopf gestülptem Strumpf, sondern um eine Guy Fawkes Maske,
dem Symbol der weltweit tätigen Internetaktivistengruppe „Anonymous“.
Reden wir über Mord. Und tun wir es im Sinne des göttlichen
Marquis „ mit Überzeugung und Geschmack“
An Überzeugung ist genug in die Plakatmotive geflossen. Was die
Note für Geschmack angeht hat das „Syndikat“ mit seinen Bildmotiven eine Fahrkarte
geschossen.
Plakatmotiv des "Syndikat"
Von Napoleons Außenminister Talleyrand, einem nicht minder
berühmten Zeitgenossen des Marquis de Sade, ist im Zusammenhang mit einem gar
nicht mal virtuellem, sondern sehr realen Mord das Bonmot überliefert „ Das war
mehr als ein Verbrechen, das war ein Fehler.“
Es war nicht nur übertrieben und instinktlos von den
Verantwortlichem im „Syndikat“ dem Killer auf ihren Plakaten eine Guy Fawkes
Maske überzustülpen. Es war tatsächlich auch ein Fehler. Allerdings einer, der
tief blicken lässt. Was da zu sehen ist? Eine erstaunliche Naivität und
Unwissenheit über die Formen und Etiketten der Auseinandersetzung in Zeiten des
von Social Media geprägten Internets.
Schon als vor Wochen die ersten Bilder zum Making Of der
Plakataktion auf bestimmten Foren auftauchten und man auch noch ein Youtube -
Video dazu postete, war mir klar dass dies nicht gut gehen kann. Ja, Plakate
sind ein im wortwörtlichen Sinne plakativer Imageträger. Aber für jeden mit nur
ein wenig Interneterfahrung war abzusehen, dass es daraufhin zu einer
Gegenreaktion von Seiten irgendwelcher Netzaktivisten kommen musste. Es fällt
mir immer noch schwer zu glauben, dass man diese einfache Rechnung im
„Syndikat“ nicht aufgemacht haben soll, bevor man mit der Aktion an die
Öffentlichkeit ging. Jeder Krimi braucht einen Übeltäter – doch gerade
Krimiautoren hätten wissen sollen, dass es schwierig wird, sobald der sich in einem
bloßen Pappkameraden erschöpft. Und der Plakat-Killer mit seiner Guy Fawkes Maske
ist genau das.
Ich kann die Ängste der Kollegen, die für die Aktion buchstäblich
ihr (Kunst-) Herzblut hergaben, in großen Teilen gut nachvollziehen. Ich bin
selbst Krimiautor. Und ich bin wie sie für eine ausgewogene und faire Anpassung
des Urheberrechts an die Erfordernisse des Internet. Aber man darf das Medium Internet und dessen
Nutzer eben auch nicht vor lauter Unsicherheiten und Beklemmungen einfach so
über einen Kamm scheren oder gar in Form eines Pappkameraden dämonisieren.
Wir alle sind Teil der Internet-Revolution. Ob es uns gefällt
oder nicht. Diese Revolution verändert die Art wie wir kommunizieren und die
Art wie wir konsumieren. Sie wird
Gewinner hervorbringen und Verlierer. Auch wenn die bislang noch nicht
endgültig auszumachen sind, steht fest, zu den Verlierern zählen diejenigen,
die sich nicht anzupassen vermögen. Aber wirklich einfach nur hilflos
ausgeliefert ist dieser Revolution keiner. Denn das ist das Besondere an ihr:
sie belohnt langfristig Kreativität, Witz und Mut. Bestrafen wird sie
allerdings all diejenigen, die sich ihrer Dynamik verweigern und sie sogar noch
dämonisieren, wie es das „Syndikat“ mit seinen instinktlosen Plakatmotiven tat.
Reden wir über Mord.
Nachdem die ersten Pressemitteilungen und Kommentare zur Plakataktion
des „Syndikats“ herausgingen, wurden innerhalb weniger Stunden die Email
Adressen und Webseiten sowohl der daran beteiligten Autoren, als auch die der
Aktion des „Syndikats“ durch so genanntes E-Mail-Bombing attackiert. Man machte
die betreffenden Kollegen und die Webseite der Aktion im Internet
kommunikationsunfähig.
Das nenne ich „virtuellen Mord“.
Nicht nur ich verurteile das aufs Schärfste.
Anonymous Fan-Banner mit typischer Guy Fawkes Maske
Dieses Vorgehen – falls es denn überhaupt von realen „Anonymous“
-Aktivisten verübt, oder auch nur abgesegnet wurde – unterbot selbst die Geschmacklosigkeit der
„Syndikat“ – Plakatmotive. Es
beschädigte vor allem „Anonymous“ erklärtes Ziel sich für Meinungsfreiheit im Internet einzusetzen. Als „Anonymous“ im Zusammenhang mit der
Diskussion über die geplanten Acta und SOPA Gesetzesvorlagen zeitweilig die
Webseiten des FBI und des U.S. –Innenministeriums lahm legte, wurde das in weiten Teilen der Netzgemeinde
als opportun wahrgenommen. Aber beim FBI und dem U.S. Innenministerium handelte
es sich um Institutionen.
Privatpersonen anzugreifen, die auf ihre ganz eigene Art ihre
Meinungsfreiheit im Internet wahrgenommen haben, wird bei den Netzusern als
deutlich weniger cool aufgefasst.
Auch „Anonymous“ hat einen Ruf. Aber auch der lässt sich am
besten immer noch selbst ruinieren. In dieser Beziehung sind sich die beiden
Kontrahenten in diesem bizarren „Mörderspiel“ näher, als sie es sich
eingestehen wollen.
Krieg macht keinen satt. Krieg im Internet schon gar nicht.
Alles, was der anrichtet ist nur noch mehr Porzellan zu zerschlagen. Hier hat
die eine Seite erschreckende Naivität gezeigt. Die andere jedoch hat diese
Naivität zum Anlass für einen pubertären pissing
contest genommen.
Wir alle sind Teil einer Revolution. Ob es uns gefällt oder
nicht.
Revolutionen blühen im Chaos. Und Revolutionen fressen ihre
Kinder, wie Pierre Vergniaud das im revolutionären 18. Jahrhundert so
eindrücklich formulierte. Aber irgendwann kommt im Verlauf jeder Revolution
unweigerlich die Zeit des Ausgleichs, der Verhandlungen und der Kompromisse.
Es liegt vor allem an uns, den Usern, den Aktivisten und den
Urhebern zu entscheiden, wie viel Staub noch aufgewirbelt und wie viel
kulturelles Porzellan zerschlagen werden muss, bevor alle Seiten in diesem
Streit sich endlich an einen Tisch setzen, um gemeinsam ausgewogene Antworten
für die derzeit brennendsten Fragen im so genannten „Urheberrechtsstreit“ zu
entwickeln.
Das hätte als angemessene Schlusspointe taugen können. Aber die
wahre Pointe dieses Mörderspiels besteht darin, dass es im „Urheberrechtsstreit“,
ja gar nicht mal um das Urheberrecht an sich geht. Sondern sich die Chose auf
die simple Frage herunterreduzieren lässt:
Wie wollen wir in Zukunft die Verteilung von geistigem Eigentum im
Medium des Internets geregelt sehen?
Ich weigere mich einfach zu akzeptieren, dass es unmöglich sein
sollte diese simple Frage für alle Beteiligten angemessen zu regeln. Beenden
wir also die Phase der Provokationen, krempeln die Ärmel auf und machen uns an
die Arbeit. Sie wird kompliziert und mühevoll genug. Die Zeit drängt.
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