Foto von Anders Brehing Breivik, wie es unter anderem vom britischen Guardian veröffentlicht wurde
Ein einsamer Mann, bastelt sich eine massive Bombe zurecht, die er im Regierungsviertel von Oslo explodieren lässt, um anschließend mit automatischen Waffen und in der Verkleidung eines Polizisten in ein abgelegenes Jugendcamp auf die Insel Utøya zu fahren und dort in einer Art kalkuliertem Amoklauf offenbar wahllos um sich zu schießen.
Wäre es nicht die bestürzende Realität in diesen Tagen, man könnte es für den Plot irgendeines Thrillers halten, und wir Leser wären innerhalb der fiktiven Welt jenes Thrillers wohl auch gar nicht überrascht gewesen, stellte sich jener blonde Norweger zum Showdown hin, als islamistischer Terrorist oder gar von irgendeinem Geheimdienst gesteuerte Marionette heraus.
Beides scheint Anders Breivik jedoch - nach allem, was man heute über ihn sagen kann – eben nicht gewesen zu sein.
Im Gegenteil scheint es sich bei ihm, um einen Einzeltäter mit losen Verbindungen zu rechtsradikalen und christlich-fundamentalistischen Gruppierungen im Internet zu handeln. Anders Breiviks Anschlag scheint zudem gewisse Ähnlichkeiten zu einem weiteren Anschlag aufzuweisen: Dem des Oklahoma Bombers Timothy McVeigh nämlich, der 1995 einen verheerenden Bombenanschlag auf ein Bürogebäude der US Bundesbehörden verübte, bei dem 168 Menschen ums Leben kamen und 800 verletzt worden waren.
Erschüttert und hilflos steht die Welt heute – 16 Jahre nach McVeighs Terrorattacke - erneut vor einer Tat, die ebenso sinnlos und albtraumhaft erscheint, wie jene seinerzeit in Oklahoma.
Herr Gray ist kein Fan von haltlosen Spekulationen oder gar jenen abstrusen Verschwörungstheorien, wie sie im Nachgang von 9/11 zu tausenden im Internet boomten und bis heute nicht verstummen wollen. Und es mag heute, jetzt und hier, auch gar keine vermessene Prophezeiung sein, dass auch im Nachgang des Osloer Anschlags eine Unmenge ähnlich absurder und haltloser Verschwörungsthesen und Spekulationen auftauchen werden.
Ich will in diesem Blogpost keineswegs in irgendeiner Art und Weise zu solchen Thesen beitragen.
Ich will jedoch die Gelegenheit nutzen, auf einen anderen – nicht weniger erschreckenden - Anschlag hinzuweisen, der deutlich weniger lange zurückliegt, als der Timothy McVeighs. Denjenigen nämlich auf die demokratische Politikerin Gabrielle Giffords in Tucson vom 8. Januar diesen Jahres.
Wir erinnern uns: Ein Attentäter erscheint mit einer automatischen Waffe zu einer Veranstaltung der Kongressabgeordneten, streckt diese mit gezielten Schüssen aus nächster Nähe nieder und verletzt sie schwer. Obwohl Senatorin Giffords selbst gerettet werden kann, bleiben sechs weitere Opfer bei dem Anschlag zurück, für die jede Hilfe zu spät kommt.
Auch in diem Fall gelingt es – wie im Fall McVeigh und Anders Breivik – den Täter noch am Tatort festzunehmen und den zuständigen Behörden zu überstellen. Zyniker mögen behaupten, dass Al-Qaida Angehörige in der Mehrzahl wenigstens so viel Mut beweisen sich während ihrer Attentate mit ihren Bombern selbst in die Luft zu jagen, während rechtsradikalen oder christlich-fundamentalistischen Terroristen, dieser Mut offenbar fehlt. Doch dies nur nebenbei.
Worauf ich hier im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Abgeordnete Giffords hinweisen will, ist der Umstand, dass Sarah Palin PR-Team ab März 2010 auf Mrs. Palins Website eine Karte der Vereinigten Staaten zeigte, auf der die Lage der Wahlbezirke derjenigen demokratischen Abgeordneten des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten gekennzeichnet waren, die bei der heftig umkämpften Wahl zum Repräsentantenhaus der USA 2008 den Wahlbezirk einem Kongressabgeordneten der Republikanischen Partei abgenommen und nachher für die Gesundheitsreform von Barack Obama gestimmt hatten.
Umstrittene Darstellung aus dem PR-Hauptquartier Sarah Palins / Quelle: Wikipedia
Diese Kennzeichnung erfolgte mit Symbolen, die den Fadenkreuzen in Visiereinrichtungen von Schusswaffen nachempfunden waren. Und jene Übersichtskarte wurde auch von TV Kanälen verbreitet, auf bestimmten Kirchenkanzeln und in bestimmten Radio Talk Shows besprochen.
Gabrielle Giffords hatte schon kurz nach Beginn dieser beispiellos geschmacklosen Kampagne ihre Bedenken über den Tenor dieser Kartendarstellung geäußert, in der auch ihr eigener Kongresswahlbezirk so gekennzeichnet war.
Gabrielle Giffords
„Wir sind in Sarah Palins Liste mit ‚Zielen‘, aber die Sache ist die, dass auf die Weise, wie sie es darstellte, wir uns im Fadenkreuz einer Gewehrvisiereinrichtung über unserem Distrikt befinden. Wenn die Leute das tun, dann müssen sie sich dessen bewusst sein, dass solche Aktionen Folgen haben können“, erklärte Giffords im März 2010, kurz nachdem ihr Wahlbezirksbüro angegriffen worden war.
Bislang ist nicht zweifelsfrei erwiesen, ob, oder inwieweit der Attentäter von Tucson von jenen Fadenkreuzdarstellungen für seine Tat beeinflusst war.
Doch ist das auch gar nicht der Punkt, auf den ich mit diesem Blogpost hinweisen will, hinweisen möchte ich auf das politische und mediale Klima, welches seinerzeit in den USA geherrscht haben muss.
Man muss sich doch fragen: Welches Maß an Gedankenlosigkeit, Zynismus, und Menschenverachtung gehörte dazu, dass irgendjemand – zumal ein PR-Profi – auf die völlig übertriebene Idee verfallen konnte, ausgerechnet eine solche Form der Darstellung zu wählen.
Setzt eine solche Darstellung nicht voraus, dass man sich im PR-Hauptquartier Sarah Palins recht sicher sein durfte, dass sie nicht nur auf Zustimmung, sondern womöglich gar Beifall innerhalb der Wähler-Zielgruppe Mrs. Palins stoßen musste?
Und welche Rückschlüsse erlaubt diese Entscheidung auf die Art von Propaganda, die man da betrieb? Welche Rückschlüsse erlaubt diese Darstellung auf das mediale und politische Klima jener Tage?
Für mich jedenfalls weist dies auf ein Klima von Hysterie und Endzeitstimmung hin, das bei objektiver Betrachtung nicht nur völlig unangebracht in der politischen Auseinandersetzung zwischen demokratischen Parteien scheint, sondern auch dazu geeignet ist eine sowieso schon künstlich angeheizte Stimmung bewusst noch weiter anzuheizen, bis der damit erzeugte Druck sich in irgendeinem Wahnsinn, wie jenem von Tucson entladen musste.
„The Media is the Message“ – schrieb der Medientheoretiker Marshall McLuhan. Aber er schrieb eben auch „The Media is the Massage“.
Kein Mensch kann Herrn Gray weismachen, dass man sich dieser grundlegenden Formeln der PR im 21 Jahrhundert in Mrs. Palins Propaganda-Hauptquartier nicht bewusst gewesen war, als man die Entscheidung traf, jene mit Fadenkreuzen versehene Übersichtskarte zu veröffentlichen.
Stellt sich nun heraus, dass Anders Breivik für seine furchtbare Tat tatsächlich ganz oder nur teilweise von christlich-fundamentalistischen, islamophoben und rechtsradikalen Motiven getrieben war, dann sollten – und müssen wir alle uns davor hüten, auch hier im aufgeklärten und zivilisierten Westeuropa ein ähnliches mediales und geistiges Klima zuzulassen, wie es im Vorfeld des Tucson Attentats in den USA geherrscht hat.
Doch müssen wir eben auch endlich in einigen bislang womöglich vernachlässigten Ecken unseres Kontinents Staub zu wischen beginnen. In jenen Ecken und Nischen nämlich in denen immer noch allerlei wahnsinnige Neonazis, starrsinnige Verschwörungstheoretiker und ignorante christlich-fundamentalistische Heilsprediger ihr Unwesen treiben.
Youtube Video über die EDL - English Defense League, einer radikalen rechtsgerichteten Anti Islam Gruppe zu der Anders Breivik Verbindungen gepflegt haben soll
Auch die Europäische Union gründet sich, wie die USA, auf einen großen Traum. Jener europäische Traum mag unter allerlei Klischees und bürokratischen Vorurteilen teilweise begraben liegen. Dennoch ist er nach wie vor vorhanden und derzeit so aktuell und wichtig wie nie zuvor.
Es ist ein Traum von Frieden auf einem Kontinent, der im Verlauf seiner Geschichte so viele große und kleine Kriege sah, wie kein anderer auf dem Planeten.
Es ist der Traum vom ernsthaften Versuch eines friedlichen und sozial verantwortlichen Zusammenlebens ganz verschiedener Völker und Religionen.
Es ist auch ein Traum, der weder eine mediale Hysterie im Vorfeld des Tucson Attentats, noch irgendwelche unbegründete Islamophobie, und schon gar nicht irgendwelche politisch motivierte Gewalt oder haltlosen Verschwörungsthesen verträgt.
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