Donnerstag, 15. Dezember 2011

Der Hirte - Richard Dübell übers Selbstpublizieren

Wer in den letzten Monaten auf den Ebook-Markt in Deutschland geachtet hat, dem kann nicht verborgen geblieben sein, dass diesen Markt ein Unternehmen bislang absolut dominiert: Amazon.de.
Wie schon in USA und UK soll nun auch in Deutschland und angrenzenden deutschsprachigen Gebieten das Weihnachtsgeschäft mit Amazon’s Kindle eReadern für einen Preis von etwas unter 100 Euro diese Vormachtstellung weiter ausbauen. 
Nach meiner eigenen bescheidenen Prognose wird sich die ganz große Revolution im deutschen Buchmarkt zwar letztlich etwas zäher gestalten als im englischsprachigen Raum. Doch aufzuhalten ist diese Revolution auch nicht. Ich selbst habe von den Veränderungen des Buchmarktes profitiert und hoffe dies auch weiterhin zu tun.
Diese Veränderungen im Buchgeschäft weisen allerdings auch einige durchaus überraschende und sympathische Comebacks auf. Zum Beispiel den des Fortsetzungsromans, wie er zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis etwa in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts üblich war.
Ich schrieb ganz bewusst „Fortsetzungsroman“. Ein Fortsetzungsroman zeichnet sich durch die Konzentration auf einen Handlungsbogen aus, der eben nur in verschiedenen Teilen erzählt wird, ganz genauso, wie man es auch vom klassischen Roman der herkömmlichen Erzählung oder Novelle gewohnt ist. Noch Mitte des 20 Jahrhunderts gab es keine Tageszeitung und kaum ein Magazin, die nicht in ihren aktuellen Ausgaben die neueste Folge eines solchen Fortsetzungsromans präsentierte. Damals herrschte Goldgräberstimmung unter den Literaten. Wer von ihnen es fertig brachte, sein neuestes Werk an eine der großen Zeitungen als Fortsetzungsgeschichte zu verkaufen, war zumindest für eine Zeitlang ein gemachter Mann. Von Alexandre Dumas über Conan Doyle bis hin zu Erich Maria Remarque und sogar Heinrich Böll war sich kaum einer der literarischen Publikumslieblinge zu schade dazu seine aktuellen Titel als Fortsetzungsgeschichte „serialisieren“ zu lassen, wie man das seinerzeit nannte.
Nachdem sich der Lübbe Bastei Verlag bereits an einem Ebook-Serienprojekt versuchte, nämlich der so genannten Webnovel „Apokalypsis“ (einer Verschwörungsgeschichte a la Dan Browns „Da Vinci Code“ oder „Lost Symbol“) hat sich nun auch der bekannte Historienromanautor Richard Dübell an ein solches Unternehmen gewagt.  Nur noch weiter verstärkt wurde meine Neugier auf Richards „Hirten“ - Projekt als mir klar wurde, dass er dies als Selbstpublizierer in Zusammenarbeit mit seiner Literaturagentin Dr. Anke Vogel und Amazon.de angegangen war. 


 Richard Dübell Autor von "Der Hirte"

Ich fand, dass dies Grund genug sei, Richard um einige nähere Auskünfte zu seinem Projekt „Der Hirte“ zu bitten.  Richard war dann auch sofort so freundlich einem Interview mit mir zuzustimmen. 

Was hat Dich zu dem Projekt „Der Hirte“ veranlasst?

Ich wollte seit langem eine Weihnachtsgeschichte schreiben. Diese sollte den unverkennbaren Dübell-Touch haben, also historisch im Mittelalter angesiedelt sein, tempo- und actionreich sein und zugleich den nötigen Tiefgang besitzen.
Das Thema war mir schnell klar, da es vom Weihnachtsgedanken ja mehr oder weniger vorgegeben wird: Vergebung.
Mir lag viel daran, dieses Thema vielschichtig zu gestalten; daher geht es nicht nur darum, anderen deren Fehler zu verzeihen, sondern in erster Linie sich selbst für das vergeben zu können, was man am meisten an sich hasst. Dies wollte ich in mehreren Facetten und ineinander übergreifenden Beziehungen der Protagonisten schildern.
So weit, so schlecht, denn im Rahmen dieser selbst gemachten Vorgaben fiel mir keine Story ein, die nicht irgendwie abgedroschen gewesen wäre. Dann erzählte mir eine Freundin von einer Kurzgeschichte von John le Carré, die ihr sehr gefallen hatte: „Der Lotse“. Ich musste nur die Hälfte ihrer Erzählung hören, da war mir klar, welchen Weg meine eigene Story nehmen würde.
Eine Geschichte zu schreiben ist aber nur ein Teil der Arbeit. Eine Geschichte will auch gelesen werden. Wie sollte ich meinen Leserinnen und Lesern nun die Geschichte (die im Übrigen innerhalb weniger heißer Augusttage entstand, also ein größeres Quäntchen Fantasie benötigte, um sich die Kälte und den Schnee vorzustellen) nahe bringen?
Auf die nächste Weihnachts- oder Kurzgeschichtenanthologie zu warten erschien mir nicht Ziel führend. Glücklicherweise hatte ich im Sommer auch ein längeres Gespräch mit meiner damaligen Agentin und guten Freundin Anke Vogel geführt, in dem es um die Vermarktungsmöglichkeiten von Texten als originale e-Books ging. Von da an war es dann nur noch ein kleiner Gedankenschritt – und die Erkenntnis, wie engagiert Amazon in diesem Herbst die Einführung des Kindle vorantrieb – um an Amazon heranzutreten und eine exklusive Zusammenarbeit vorzuschlagen.
Mein Vorschlag sollte für beiden Seiten gewinnbringend sein. Ich würde der erste bekannte deutsche Autor sein, der eine Story exklusiv für AmazonKindle schrieb, und Amazon würde ein Projekt haben, mit dem sich für den Reader Marketing machen ließ. Zugleich würde meine eigene Präsenz im Internet und meine Bekanntheit in der Kindle-Gemeinde gesteigert werden.

Wie hast Du das gestaltet/ schreiberisch / wie lange hast Du an dem Projekt gearbeitet?

Die Story war von Anfang an als Novelle ausgelegt; mein persönliches Ziel war es, sie in maximal 100 Normseiten zu erzählen. Am Ende sind es 89 geworden. Man hat ja mit der Zeit recht gut im Gefühl, wie viele Seiten eine Geschichte braucht, um erzählt zu werden. Geschrieben habe ich „DER HIRTE“ innerhalb weniger Tage, die Recherche in Internet und in diversen Büchern sowie ein Telefonat mit dem Stadtarchiv in Trier und eines mit der Nationalparkverwaltung Eifel eingeschlossen.
Normalerweise begnüge ich mich nicht mit einer Fernrecherche, sondern suche alle Orte, an denen meine Geschichten spielen, persönlich auf.
In historischen Romanen spielt die (möglichst unauffällig zu bewerkstelligende) Pädagogik, d.h. die Informationsvermittlung über die Epoche und die Orte, in denen die Geschichte spielt, eine große Rolle. Bei „DER HIRTE“ aber lag der Fokus ausschließlich auf der Story. Daher musste ich mich mehr oder weniger nur über ein paar örtliche Gegebenheiten rückversichern und klären, ob es zutrifft, dass Ende des zwölften Jahrhunderts tatsächlich hungrige Wolfsrudel wegen der bitteren Winterkälte bis vor die Mauern der Stadt kamen.
Während des Live-Blog bei Amazon wurde mir die Frage gestellt, warum ich denn das Klischee des „bösen Wolfs“ bemüht habe. Das hängt zunächst mit dem Thema der Story zusammen. Eine Gruppe von Reisenden wird durch einen winterlichen Wald gejagt von einem Feind, mit dem man nicht kommunizieren kann und der den Protagonisten erbarmungslos auf den Fersen bleibt. Dabei sind die Wölfe und ganz besonders der Anführer des Rudels in erster Linie ein Symbol für die Selbstvorwürfe, mit denen sich die Charaktere quälen und die sie auch nicht loswerden können. Aber die Wölfe sind auch dramaturgisch notwendig. Wem sonst würde man in einem mittelalterlichen, verschneiten Wald zutrauen, eine Gruppe Reisender zu jagen? Auch wenn es im realen Leben äußerst selten vorkam/vorkommt, dass Wölfe menschliche Beute zu Tode hetzen, haben wir doch alle irgendwo in uns (gestärkt durch Jahrhunderte Propaganda) das Bild vom Wolf als dem gnadenlosen Feind des Reisenden. Man muss in der Fiktion mit Archetypen arbeiten, um die richtigen Bilder im Kopf der Leser hervorzurufen. Der Wolf ist nun mal in unserem Kulturkreis – unverdient – der Archetyp des bösen Raubtiers. Nicht zuletzt findet sich im Anführer der Wölfe aber auch ein Spiegel für Rainald von Mandach, die männliche Hauptperson der Geschichte; aber das hier genauer auszuführen, hieße einen mächtigen Spoiler zu produzieren, also lasse ich es bei dieser Andeutung. 

Wer hat das Cover gestaltet und wie bist Du zu dem Cover-Künstler gekommen? 

Das Cover habe ich selbst gestaltet unter Verwendung mehrerer eigener Fotos (u.a. eines Wolfs aus dem Nationalpark Bayerischer Wald), die ich in Adobe Photoshop zusammengebastelt und verfremdet habe. Wer das Cover also nicht mag: ich bin schuld!!!
 
Wie reagierte Dein Hausverlag auf Dein "Hirten" -Projekt, aufgeschlossen, oder zunächst eher reserviert?

 Mein Hausverlag Bastei Lübbe steht dem Projekt aufgeschlossen gegenüber, da ich ihm natürlich die Chance gab, die Geschichte selbst elektronisch zu vermarkten. Da sie aber nicht ins derzeitige Vertriebskonzept passte, gab es keinerlei Gebrummel, als ich mich an Amazon wandte.

Wie lief die Zusammenarbeit mit Amazon, lief die über Deinen Verlag oder Deine Agentur?

Ich bin - in Abstimmung mit meiner damaligen Agentin - von mir aus auf Amazon zugegangen. Meine Agentur als dritte Partei einzuschalten, erschien uns beiden bei dieser Aktion als überflüssig. Die Zusammenarbeit mit den zuständigen Kolleginnen und Kollegen bei Amazon war äußerst angenehm, immer konstruktiv und sehr freundlich. Es hat großen Spaß gemacht und einmal mehr gezeigt, dass auch hinter einem so riesigen, mächtigen Gebilde wie Amazon letzten Endes Menschen stehen. Die Menschen, die ich dort kennen lernen und mit denen ich zusammenarbeiten durfte, waren alle klasse!

Bist Du mit dem bisherigen Verlauf  des Projektes zufrieden? Was erwartest Du Dir davon in näherer Zukunft?

Die Downloadzahlen des ersten Teils der Geschichte waren phänomenal und haben meine Erwartungen weit übertroffen. Bei den weiteren Teilen haben sich die Zahlen auf ein Maß eingependelt, wie ich es eigentlich erwartet habe. Ich gehe aber davon aus, dass sich das Interesse noch einmal steigern wird, wenn der ganze Text ab dem 23.12. zum Download bereitsteht und wenn nach Weihnachten all diejenigen, denen das Christkind einen Kindle unter den Baum gelegt hat, auf die Suche nach e-Books für ihren Reader gehen. Natürlich hoffe ich, dass auch Amazon die Aktion als Erfolg werten kann und dass unsere Zusammenarbeit fortgesetzt wird. Diverse Pläne dazu haben wir bereits besprochen.
  
Was sind Deine Pläne über das Thema e-Book hinaus?

Ich habe mit der Arbeit an meinem neuen historischen Roman für Bastei Lübbe begonnen. An dieser Stelle kann ich auch verraten, dass es darüber hinaus einen modernen Krimi aus meiner Feder geben wird (bei Ullstein), der auf seine ganz eigene Weise seinen Autor nicht verleugnen kann, indem er nämlich Bezüge zum Mittelalter aufweist.
Aber es wird keine Zeitreise-, keine Archäologen- und auch kein Aus-unerfindlichen-Gründen-wird-jemand-aus-dem-Mittelalter-in-die-Gegenwart-versetzt-Geschichte. Im Herbst 2012 erscheint zudem mein erster Jugendroman bei Ravensburger.
Meine freie Zeit dazwischen fülle ich mit zwei Schreibwerkstätten aus, die ich in meiner Heimatstadt Landshut (im Januar 2012) und in München (im März 2012) anbiete. Wer sich dafür interessiert – Näheres kann man bei meiner Eventagentur www.events-fuer-autoren.de  erfahren. Da gibt’s auch Gutscheine für diejenigen, die ein kreatives Schreib-Wochenende als Weihnachtsgeschenk vergeben wollen …

Soweit Richards Auskünfte zu meinen Fragen an ihn, für die ich mich hier noch einmal herzlich bedanke.
Ob Richards Pläne aufgehen, mit seinem „Hirten“ zu den ganz großen „Abräumern“ im weihnachtlichen Ebook-Geschäft zu zählen, wird die Zukunft erweisen.
Doch eines beweist Richards Projekt jetzt schon: Dass es offenbar weder dem Geldbeutel noch der Reputation eines arrivierten Autors schaden muss, sich in Verbindung mit einem sowohl marketingmäßig interessanten, wie literarisch sympathischen Projekt, als Selbstpublizierer zu versuchen.

 "Der Hirte" 1. Teil, kostenlos zu haben bei Amazon


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