Freitag, 18. Mai 2012

Heilige Huren


Meine Kollegin Birgit hat ein Interview mit mir für ihren Blog gemacht. Ich will es natürlich keinem vorenthalten, der es lieber auf meinem Blog lesen mag.

War es schon immer dein Wunschtraum, Geschichten zu schreiben oder gab es irgendein Schlüsselerlebnis?

„Ich hab spät lesen gelernt, aber danach war ich angefixt und bin es bis heute geblieben. Ich hab alles gelesen, was ich in die Finger bekam. Auch jede Menge Mist, da ich in der DDR geboren wurde, auch all dieser sozialistischer Realismus in postfaschistischer Heldenpose.
Irgendwann begannen sich in meinem Kopf  neue Geschichten zu formen. Geschichten, die ich für besser hielt, als das, was  ich da gerade las.
Das war eine Art Automatismus für den ich nichts konnte, aber für den ich mittlerweile durchaus dankbar bin.“

Wie stark steckst du in deinen Themen drin? Kommt es vor, dass dich die Handlung einer Geschichte bis in deine Träume verfolgt oder dir sogar Angst macht?

„Bis in die Träume kommt vor. Selten zwar, aber es geschieht. Ich habe allerdings keine Alpträume von meinen Geschichten. Ich bin mir des Unterschieds zwischen Realität und Fiktion bewusst. Ich weiß zu gut, dass die Realität viel komplexer und furchtbarer sein kann, als jede Fiktion. Wer Realität und Fiktion zu sehr mischt, der kann meiner Meinung nach auch keine gute Fiktion erfinden – Stichwort: Nabelschau. Ich kann das nicht leiden. Zu viele – auch sehr gute Kollegen – tun das immer noch und halten es für den Heiligen Gral des Schreibens. Dabei ist es in vielen Fällen die pure Feigheit etwas anzupacken, von dem sie wissen, dass sie sich dafür aus ihrer langweiligen Literatenstube in die Welt hinaus begeben müssten. In die Welt hinaus zu gehen ist ja auch nicht immer nur witzig. Aber für die Produktion von ausdrucksstarker Literatur meiner Meinung nach unerlässlich. Man muss ja keinen Mord begehen, um über einen Mord glaubhaft schreiben zu können. Aber schon mal mit einem oder zwei Mördern gesprochen zu haben, hilft dabei.“

Was für Bücher gibt es bisher von dir zu kaufen? Bist du auf ein Genre fixiert oder könntest du dir auch vorstellen, mal was ganz anderes auszuprobieren?

„Ich habe Sachbücher geschrieben, Reportagen und Film –und Kunstkritiken. Mein bevorzugtes Genre ist der Spannungsroman. Der kann – aber muss nicht – deckungsgleich mit Thrillern oder Krimis sein, zuweilen sogar ins Horrorgenre tendieren, aber ich will mich ungern auf eine dieser Schublädchen festlegen lassen. Vielleicht ist es aber auch nur die pure Eitelkeit. Immerhin ist Dostojewskis „Schuld und Sühne“ am Ende auch nur ein Spannungsroman der Subkategorie Krimi. Allerdings, und das muss gesagt werden, ist er ein verdammt guter. „

Hast du schon einmal eine Lesung veranstaltet/ Wie könnte eine Lesung bei dir aussehen bzw wie sieht sie aus?

„Ich habe als Teil einer größeren Gruppe von Musikern und Artisten vor vielen Jahren angefangen Lesungen zu veranstalten. Immer dieselbe Geschichte, ab und zu mal garniert mit einigen Gedichten meines Freundes Yves Morr. Das war kein ausgesprochener Erfolg. Das Lampenfieber fand ich fast so grausam wie die gelangweilten Blicke aus dem Publikum.
Später habe ich dann immer mal wieder im kleineren Kreis gelesen, meist Anekdoten oder Aphorismen, ab und an auch mal eine kürzere Story.
Dabei habe ich gelernt, dass bei Lesungen auf eine charakterliche Eigenheit definitiv ankommt: die Fähigkeit zur Selbstironie.
Wer sich und seine Texte bei Lesungen zu ernst nimmt, den straft das Publikum gnadenlos ab. Und wie ich mittlerweile meine, auch zu recht.
Ich werde zusammen mit Freunden im Sommer diesen Jahres eine Reihe von Lesungen veranstalten, die von Musik begleitet werden, und außerdem ein Kakerlakenrennen beinhalten, bei dem gewettet werden darf. „

Was ist das Besondere an deiner Art zu schreiben?

„Ich betreibe die Schriftstellerei wie ein guter Koch einen Eintopf angeht: ich suche mir allerlei Elemente aus Literatur, Philosophie und Geschichtsschreibung zusammen, schäle sie, putze sie, schneide oder quetsche sie und werfe sie zuletzt gemeinsam in einen Topf mit ein wenig heißer Eigener-Erfahrungs-Brühe. Manchmal funktioniert das erstaunlich gut. Manchmal geht’s heillos schief, wie die ungefähr sieben oder acht unbeendeten Romane und Novellen irgendwo in den dunklen Tiefen meines Computerspeichers eindrucksvoll beweisen“

Wie sieht es mit deiner Disziplin aus? Bist du eher ein Tag- oder Nachtarbeiter? Wie gehst du einen neuen Stoff an?

„Ich habe zunehmend größeren Respekt vor dem Anfang einer neuen Arbeit, und brauche auch etwas länger als zu Beginn meiner „Karriere“ die passende Stimme für die jeweilige Geschichte zu finden. Ist mir dies allerdings erst einmal gelungen, schreibe ich wann immer es möglich ist – zur Not auch auf dem Klo oder in einer überfüllten Straßenbahn. Ich habe auch auf dem Dach eines fahrenden Busses irgendwo im Himalaya schon auf einem Stück Klopapier die Grundzüge einer Novelle skizziert, während eine  mitreisende Ziege fröhlich an meinen Haaren herumknabberte.“

Wie stark setzt einen die Arbeit als Autor unter Druck? Wie gehst du mit Deadlines und der Erwartungshaltung deiner Leser um?

„Ich kann mit Deadlines relativ gut umgehen, das rührt aus meinem Job als Journalist her. Die Erwartungshaltung der Leser ist mir egal. Ich kenne die ja gar nicht. Wem einer meiner Texte gefiel, dem muss ja nur deswegen anderes von mir nicht zugleich auch zusagen. Die Leser – das ist eine unbestimmte und vor allem unbestimmbare Größe. Ich glaube, ihnen ist am besten gedient, indem man sie bei der Entwicklung einer neuen Arbeit völlig außen vor lässt. Die werden erst wieder interessant, sobald die Arbeit ihren Weg in die Welt hinaus antritt. Dann allerdings sind sie das Maß aller Dinge. Schon deswegen, weil sie es sind, die am Ende für meine Arbeit ihre Daumen eher senken, oder heben. Literatur ist zu einem gewissen Teil ja immer auch Showbiz. Daran ist nicht zu rütteln.“

Wie sieht es mit dem Traum von der eigenen Bekanntheit aus? Siehst du auch Nachteile?

„Natürlich sehe ich darin auch Nachteile. David Gray ist ein Pseudonym. Ich führe ein Leben neben der Schreiberei. Dieses Leben ist mir sehr kostbar.  Daher ist David Gray von Beginn an als Kunstfigur angelegt worden. Er mag ja so einiges von mir selbst haben, aber ich – das ist schon ein anderer, als dieser Herr Gray mit seiner großen Klappe und dem Hang zur Rechthaberei. Ich denke auch, dass diese Art der literarischen Kunstfigur vom Publikum wesentlich problemloser akzeptiert wird, als von so manchem Kollegen. “

Welche Eigenschaften sollte ein zukünftiger Autor mitbringen?

„Talent, Furchtlosigkeit und jede Menge kriminelle Energie“



 Der kürzlich verstorbene Steve Jobs, zitiert mit einem bonmot das für alle Künstler gelten sollte.
 

Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie ist an dem Spruch, daß Genie und Wahnsinn nahe beieinander liegen, tatsächlich was dran. Zumindest fanden sich in den Gehirnen kreativer und künstlerisch tätiger Menschen Veränderungen, die denen geistig kranker Menschen ähnelten. Wie denkst du darüber? Sind Schriftsteller eine besondere Spezies?

„Dass die Dichter etwas Besonderes sind ist ja ein Denkkonzept, dem erst die Romantik neues Leben einhauchte, nachdem es ziemlich lange relativ brach gelegen hatte.
Wir leben derzeit in einem Romantik-Revival. Da passt auch das Klischee vom Genie und dem Wahnsinn wieder ganz gut ins Bild.   Ich persönlich glaube, dass sich unter Autoren ebenso viele Korinthenkackerische Langweiler finden lassen, wie ausgeflippte Egomanen, friedliche Schizophrene oder psychopathische Irre. Aber das gilt für Tischler, Taxifahrer oder Bankangestellte genauso.
Was Hirnstudien angeht, so will ich hier einen guten Freund von mir zitieren, seines Zeichens Neurologe und Wissenschaftler: „Selbst sämtliche derzeit verfügbaren Rechner zusammengeschaltet ergäben immer noch weniger Rechenleistung, als Du in etwa dafür brauchst Deinem Finger zu befehlen Deinen Stift zu ergreifen um Deinen Namen unter irgendein Dokument zu setzen. „
Anders ausgedrückt: Ich halte die meisten dieser so genannten Studien für übertrieben in ihren Schlussfolgerungen und gebe daher nichts darauf.“

Wie sieht für dich der ideale Verlag aus? Was würdest du dir von einem Verlag wünschen?

„Ein guter Verlag sollte sein wie eine heilige Hure. Sie soll beim kopulieren – das heißt, dem Entstehen der Texte mit ganzem Herzen, kreativ, scham- und hemmungslos dabei sein. Beim Lektorat jedoch die selbstbewusste Pedantin herauskehren, um sich dann bei der Vermarktung der Texte für keinerlei Schweinerei zu schade zu sein.“

Viele Autoren veröffentlichen ihre Bücher inzwischen ohne Verlag, manche mit ganz beachtlichem Erfolg. Das eBook ist im Kommen, Verlage versuchen sich an völlig neuen Konzepten. Wie stellst du dir den Buchmarkt in zehn Jahren vor?

„Im Idealfall wird der Markt wesentlich bunter und vielfältiger sein, als jetzt. Damit auch unübersichtlicher. Der Markt für Autoren wird allerdings deutlich wachsen. Immer mehr technische Möglichkeiten wollen von uns erobert und besetzt werden. Die Menschen waren noch nie so hungrig nach Geschichten, wie gerade jetzt. Ein Trend, der übrigens anhalten wird. Nur ist es ihnen inzwischen zunehmend gleich in welcher Form man ihnen Geschichten serviert, ob als klassischen Roman, als Computerspiel, Film, Videoclip oder Theaterstück. (Das Theater als literarische Ausdrucksform und Unterhaltungsmedium steht gerade vor einem grandiosen Comeback, da es Spektakel zum anfassen bietet, das deutlich direkter und vielfältiger daherkommt als Computerspiele, Filme oder Bücher)
Diese dystopischen Unkenrufe von einer demnächst austrocknenden Literaturlandschaft, halte ich für dummdreiste Panikmache.
Literatur – Sprache und Geschichten – sind nichts, was sich für lange in irgendwelche Kästchen sperren ließe. Weder Ideologen noch Monopole haben im Verlauf der Geschichte je für länger vermocht die Vielfalt von Literatur einzudämmen oder gar zu beherrschen.
Als Hitler im Siegestaumel durch Paris fuhr, lasen seine Soldaten trotzdem überall Ernst Jüngers „Marmorklippen“ und die meisten von ihnen wussten sehr genau weshalb.
Auf dem Höhepunkt von Stalins Personenkult, fertigten abertausende Menschen überall im Ostblock Abschriften von Orwells „Animal Farm“ an. Manche lernten den Text des Buches sogar auswendig, um ihn in heimlichen Zusammenkünften in verrauchten Hinterzimmern oder feuchten Wohnküchen zu rezitieren.

Das Mörderspiel




Reden wir über Mord. Und tun wir es mit einem der ganz besonderen Säulenheiligen der Literatur, von dem der bemerkenswerte Satz überliefert ist: „Wir haben lange genug aus Not gemordet, tun wir es jetzt mit Überzeugung und Geschmack“
Weshalb wir hier über Mord reden sollten und dann auch noch im Sinne des berüchtigten Marquis de Sade, denn von keinem anderen stammt der oben zitierte Satz?
Weil Mord derzeit in aller Munde ist. Außerdem Geschmack und Not.
Vermeintlicher Mord nämlich an uns Autoren und unserem Einkommen, vermeintlicher Mord auch an der Kultur und dem literarischen und künstlerischem Niveau ganz allgemein.
Gemeint ist die aktuell in den Medien und dem Internet stattfindende Urheberrechtsdebatte. Die sich in den letzten Tagen und Wochen durch zahlreiche Artikel, Petitionen und Aktionen zu einer Art von perpetuum mobile verwandelt hat. Die dabei erreichten Geschwindigkeiten sind erstaunlich  und es darf durchaus befürchtet werden, dass den sich dabei entwickelnden Fliehkräften mehr an kulturellem Porzellan zum Opfer fallen könnte als gesund sein kann.
Einen neuen Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung mit einer Plakataktion des „Syndikats“, der Vereinigung der deutschsprachigen Krimiautoren. Ganz dem Genre verhaftet wurde bei den Plakatmotiven weder an geschminkten Leichen noch Kunstblut gespart. So splattermäßig gerieten die Motive - ich wundere mich, dass bisher noch kein Jugendschützer auf den Plan trat, um deren Verbreitung an Orten zu unterbinden, die von Minderjährigen frequentiert werden.
Das Syndikat ließ sich also nicht lumpen. Und wie es sich für eine richtige Krimistory gehört, hat man nicht nur reichlich Kunstblut vergossen, sondern auch einen fiesen Killer ausgemacht und abgebildet, der fröhlich grinsend im Angesicht von Leichenhaufen seine Opferausbeute herzeigt. Bei den Leichen, die von dem plakatierten Killer abgeschlachtet worden waren handelt es sich um deutsche Krimiautoren.  Und was den Killer - neben seiner Opferausbeute - eindeutig als Übeltäter erkennbar macht ist die Maske, die er trägt. Es handelt sich dabei nicht um irgendeinen über den Kopf gestülptem Strumpf, sondern um eine Guy Fawkes Maske, dem Symbol der weltweit tätigen Internetaktivistengruppe „Anonymous“.  
Reden wir über Mord. Und tun wir es im Sinne des göttlichen Marquis „ mit Überzeugung und Geschmack“
An Überzeugung ist genug in die Plakatmotive geflossen. Was die Note für Geschmack angeht hat das „Syndikat“ mit seinen Bildmotiven eine Fahrkarte geschossen.



 Plakatmotiv des "Syndikat"


Von Napoleons Außenminister Talleyrand, einem nicht minder berühmten Zeitgenossen des Marquis de Sade, ist im Zusammenhang mit einem gar nicht mal virtuellem, sondern sehr realen Mord das Bonmot überliefert „ Das war mehr als ein Verbrechen, das war ein Fehler.“
Es war nicht nur übertrieben und instinktlos von den Verantwortlichem im „Syndikat“ dem Killer auf ihren Plakaten eine Guy Fawkes Maske überzustülpen. Es war tatsächlich auch ein Fehler. Allerdings einer, der tief blicken lässt. Was da zu sehen ist? Eine erstaunliche Naivität und Unwissenheit über die Formen und Etiketten der Auseinandersetzung in Zeiten des von Social Media geprägten Internets.
Schon als vor Wochen die ersten Bilder zum Making Of der Plakataktion auf bestimmten Foren auftauchten und man auch noch ein Youtube - Video dazu postete, war mir klar dass dies nicht gut gehen kann. Ja, Plakate sind ein im wortwörtlichen Sinne plakativer Imageträger. Aber für jeden mit nur ein wenig Interneterfahrung war abzusehen, dass es daraufhin zu einer Gegenreaktion von Seiten irgendwelcher Netzaktivisten kommen musste. Es fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass man diese einfache Rechnung im „Syndikat“ nicht aufgemacht haben soll, bevor man mit der Aktion an die Öffentlichkeit ging. Jeder Krimi braucht einen Übeltäter – doch gerade Krimiautoren hätten wissen sollen, dass es  schwierig wird, sobald der sich in einem bloßen Pappkameraden erschöpft. Und der Plakat-Killer mit seiner Guy Fawkes Maske ist genau das.
Ich kann die Ängste der Kollegen, die für die Aktion buchstäblich ihr (Kunst-) Herzblut hergaben, in großen Teilen gut nachvollziehen. Ich bin selbst Krimiautor. Und ich bin wie sie für eine ausgewogene und faire Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des Internet.  Aber man darf das Medium Internet und dessen Nutzer eben auch nicht vor lauter Unsicherheiten und Beklemmungen einfach so über einen Kamm scheren oder gar in Form eines Pappkameraden dämonisieren. 
Wir alle sind Teil der Internet-Revolution. Ob es uns gefällt oder nicht. Diese Revolution verändert die Art wie wir kommunizieren und die Art wie wir konsumieren.  Sie wird Gewinner hervorbringen und Verlierer. Auch wenn die bislang noch nicht endgültig auszumachen sind, steht fest, zu den Verlierern zählen diejenigen, die sich nicht anzupassen vermögen. Aber wirklich einfach nur hilflos ausgeliefert ist dieser Revolution keiner. Denn das ist das Besondere an ihr: sie belohnt langfristig Kreativität, Witz und Mut. Bestrafen wird sie allerdings all diejenigen, die sich ihrer Dynamik verweigern und sie sogar noch dämonisieren, wie es das „Syndikat“ mit seinen instinktlosen Plakatmotiven tat.  
Reden wir über Mord.
Nachdem die ersten Pressemitteilungen und Kommentare zur Plakataktion des „Syndikats“ herausgingen, wurden innerhalb weniger Stunden die Email Adressen und Webseiten sowohl der daran beteiligten Autoren, als auch die der Aktion des „Syndikats“ durch so genanntes E-Mail-Bombing attackiert. Man machte die betreffenden Kollegen und die Webseite der Aktion im Internet kommunikationsunfähig.  
Das nenne ich „virtuellen Mord“.
Nicht nur ich verurteile das aufs Schärfste. 




 Anonymous Fan-Banner mit typischer Guy Fawkes Maske


Dieses Vorgehen – falls es denn überhaupt von realen „Anonymous“ -Aktivisten verübt, oder auch nur abgesegnet wurde –  unterbot selbst die Geschmacklosigkeit der „Syndikat“ – Plakatmotive.  Es beschädigte vor allem „Anonymous“ erklärtes Ziel sich für  Meinungsfreiheit im Internet einzusetzen.  Als „Anonymous“ im Zusammenhang mit der Diskussion über die geplanten Acta und SOPA Gesetzesvorlagen zeitweilig die Webseiten des FBI und des U.S. –Innenministeriums lahm legte,  wurde das in weiten Teilen der Netzgemeinde als opportun wahrgenommen. Aber beim FBI und dem U.S. Innenministerium handelte es sich um Institutionen.
Privatpersonen anzugreifen, die auf ihre ganz eigene Art ihre Meinungsfreiheit im Internet wahrgenommen haben, wird bei den Netzusern als deutlich weniger cool aufgefasst.
Auch „Anonymous“ hat einen Ruf. Aber auch der lässt sich am besten immer noch selbst ruinieren. In dieser Beziehung sind sich die beiden Kontrahenten in diesem bizarren „Mörderspiel“ näher, als sie es sich eingestehen wollen.
Krieg macht keinen satt. Krieg im Internet schon gar nicht. Alles, was der anrichtet ist nur noch mehr Porzellan zu zerschlagen. Hier hat die eine Seite erschreckende Naivität gezeigt. Die andere jedoch hat diese Naivität zum Anlass für einen pubertären pissing contest genommen.
Wir alle sind Teil einer Revolution. Ob es uns gefällt oder nicht.
Revolutionen blühen im Chaos. Und Revolutionen fressen ihre Kinder, wie Pierre Vergniaud das im revolutionären 18. Jahrhundert so eindrücklich formulierte. Aber irgendwann kommt im Verlauf jeder Revolution unweigerlich die Zeit des Ausgleichs, der Verhandlungen und der Kompromisse.
Es liegt vor allem an uns, den Usern, den Aktivisten und den Urhebern zu entscheiden, wie viel Staub noch aufgewirbelt und wie viel kulturelles Porzellan zerschlagen werden muss, bevor alle Seiten in diesem Streit sich endlich an einen Tisch setzen, um gemeinsam ausgewogene Antworten für die derzeit brennendsten Fragen im so genannten „Urheberrechtsstreit“ zu entwickeln.
Das hätte als angemessene Schlusspointe taugen können. Aber die wahre Pointe dieses Mörderspiels besteht darin, dass es im „Urheberrechtsstreit“, ja gar nicht mal um das Urheberrecht an sich geht. Sondern sich die Chose auf die simple Frage herunterreduzieren lässt:  Wie wollen wir in Zukunft die Verteilung von geistigem Eigentum im Medium des Internets geregelt sehen?
Ich weigere mich einfach zu akzeptieren, dass es unmöglich sein sollte diese simple Frage für alle Beteiligten angemessen zu regeln. Beenden wir also die Phase der Provokationen, krempeln die Ärmel auf und machen uns an die Arbeit. Sie wird kompliziert und mühevoll genug. Die Zeit drängt.