Frau Radisch,
vielen herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, meine Fragen zu
beantworten. Sie vorzustellen ist
eigentlich unnötig. Ich werde es der Vollständigkeit halber dennoch hier kurz
versuchen: Sie sind Literaturkritikerin bei der “Zeit“ waren Mitglied des „Literarischen Quartetts“
und sind sogar „Chevalier des Arts et Lettres“. Letzteres ist keine geringe
Ehre für eine deutsche Literaturkritikerin.
Hat man diese Auszeichnung hier in Deutschland
eigentlich so richtig wahrgenommen, weiß man unter den Kollegen was dieser
Orden bedeutet?
Ich habe keine
Ahnung, wie bekannt dieser Orden unter deutschen Literaturkritikern ist.
Man geht landläufig davon aus, Literaten und Verleger
seien besonders zivilisierte und gebildete Menschen. Dennoch oder gerade daher – Frau Radisch –
hat man Ihnen schon gedroht, oder versuchte man schon einmal die
Veröffentlichung einer Ihrer Kritiken zu verhindern?
Nein, mir hat
noch nie jemand gedroht. Als Literaturchefin der ZEIT kann ich selbst
entscheiden, welche Bücher ich rezensieren möchte. Daran bin ich noch nie
gehindert worden.
Immerhin entspricht es ja quasi dem Berufsbild des
Kritikers sich Gegner zu machen. Das ist zweifellos ein Klischee – aber die meisten
Klischees enthalten ja immerhin ein Körnchen an Wahrheit. Haben Sie sich mit
Ihrer Tätigkeit Gegner gemacht? Halten Sie sich selbst für eine mutige Frau?
Oder falls das zu viel gefragt sein sollte, besitzen Sie dann zumindest einen
gewissen Hang zur Streitlust?
Klar, einen Hang
zur Streitlust habe ich sicher, gelegentlich auch zur Polemik. Mut ist
allerdings keine Kategorie, die im Literaturbetrieb eine große Rolle spielte.
Feinde habe ich mir zum Beispiel gemacht, als ich es als einzige Kritikerin in
Deutschland gewagt habe, den letzten Roman der deutschen
Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller zu kritisieren. Oder als ich den
letzten Roman der Suhrkamp-Chefin mit vorsichtigen Einwänden bedacht habe. Aber
mutig würde ich das noch nicht nennen, eigentlich ist das doch nur mein Beruf.
Hier eine womöglich etwas böse Frage: Woher beziehen
Sie, als die Moderatorin - die uns Lesern und Internetusern ja Lesetipps
vermittelt - eigentlich Ihre Buchtipps?
Was sind die Grundvoraussetzungen die ein Autor / ein Titel mitbringen muss, um
von Ihnen wahrgenommen und eine Kritik für wert befunden zu werden?
Ich „beziehe“
doch keine Tipps, sondern ich lese Bücher. Meine Auswahl ist ganz persönlich
und sowohl von meiner Leselust, aber manchmal natürlich auch vom glücklichen
Zufall abhängig.
Wer darf sich Ihrer Definition zufolge eigentlich als
Autor bezeichnen? Genügt da – grundsätzlich – bereits einige Bücher an andere
Leute als nur die eigene Oma, Tante, Schwester oder Mutter verkauft zu haben, oder gehört nicht noch so
einiges mehr dazu, bevor man / frau sich als Autor bezeichnen darf?
Die Frage ist mir
für dieses Format hier zu groß.
Was halten Sie von
E-Books? Ist das eine eher segensreiche oder eher schädliche Entwicklung?
Besitzen Sie eigentlich einen eReader? Immerhin vielleicht ganz praktisch für
jemanden, der wie Sie viel unterwegs ist. Bücher sind sicherlich ein
unverzichtbares, aber eben auch recht schweres Reisegepäck und die
Datenspeicher von eReadern fassen mehrere tausend Titel.
Ja, ich benutze einen eReader – aber selten und nur so lange das
gedruckte Buch noch nicht fertig ist. Ich bin auf diese Zweisamkeit zwischen
Buch und mir konditioniert, lese auf langer Strecke ungern anders. Finde auch
nur auf dem Papier einen wirklich direkten Kontakt zum Text, schreibe viel mit
Bleistift in die Bücher, unterkringele und unterstreiche und so weiter.
Iris Radisch © Zentralbild |
Es scheint ja so,
dass die Umwälzungen, die mit dem Aufkommen des E-Books einhergehen, nicht nur
deutliche Auswirkungen darauf haben, wie gelesen wird, sondern auch was. Ich will jetzt hier gar nicht auf die drei
vier altbekannten internationalen E-Book Erfolge hinaus, meine Frage zielt
tiefer. Bislang wurden Novellen und Kurzgeschichten – überhaupt die etwas
kleinere Textform - von den Verlagen
eher vernachlässigt. Jeder Agent oder Verleger hätte seinem Autor vor einem
Jahr ja noch gesagt: „Kurzgeschichten laufen nicht, verschwenden Sie daran gar
nicht erst Ihre Zeit“ Doch im E-Book
Bereich scheinen Kurzgeschichten und Novellen derzeit eine Renaissance zu
erleben. Eine grundsätzlich positive Entwicklung?
Wer sollte etwas gegen Novellen und Kurzgeschichten haben? In
Hongkong gibt es auch schon Kürzestgeschichten, die sich wunderbar auf dem
Handy lesen lassen. Mir ist das alles recht, solange es nur zusätzlich und
nicht stattdessen da ist. Wenn Bücher im ganz großen Stil nur noch als ebook
und nicht mehr als Papierbuch erscheinen, das wäre schon sehr schade.
Es existiert in
der gesamten Buchbranche aktuell eine Debatte darüber, ob es generell schädlich für den gesamten Markt
sei, wenn eine so große Plattform wie Amazon.de immer mehr und mehr Marktmacht
im Buchgeschäft akkumuliert.
Hegen Sie
angesichts dessen womöglich die Befürchtung, dass da mittelfristig vielleicht
die Literatur wieder einmal zugunsten
der Unterhaltungsbestseller den Kürzeren zieht?
Die
Hauptbefürchtung ist doch die, dass hier ein Megakonzern unkontrollierbar Macht
akkumuliert und den Markt beherrscht. Das muss man verhindern.
Unter vielen
Autoren herrscht die Ansicht, dass es gefährlich sein könnte, seine Werke
selbst als E-Books zu publizieren, da dies womöglich von Verlagen und Kritikern
als anrüchig betrachtet würde. Ist da Ihrer Meinung nach etwas dran? Können Sie
sich vorstellen eines Tages auch ein vom Autor selbst ohne Verlag publiziertes
E-Book besprechen?
Ja, kann ich mir vorstellen. Aber wovon wollen die Autoren dann
leben?
Allenthalben
scheint man die Zukunft des stationären Buchhandels mittelfristig in einem
recht düsteren Licht zu sehen. Sehen Sie dort auch nur zunehmende Finsternis
oder existiert für Sie bei allem Ernst der Lage auch ein Lichtschein am Ende
jenes Tunnels.
Kein Lichtschein für meine kleine Buchhandlung, nein.
Die Urheberrechtsdebatte ist im Sommerloch etwas
ruhiger geworden, aber längst noch nicht am Ende. Haben Sie denn kürzlich
irgendeine der vielen Petitionen unterzeichnet, Frau Radisch? Falls dem so war -
welche und weshalb? Oder ist das in Ihren Augen nur wieder einer jener Stürme
im Wasserglas, für die das Internet ja so prädestiniert ist?
Kein Sturm im
Wasserglas, das Urheberrecht ist wichtig, aber es kann ja auch für
elektronische Bücher gelten.
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